Aufstieg im Yoga
Der Weg des Yogis ist sehr vielschichtig. Heute möchte ich dir einen besonderen Aspekt des Yoga vorstellen.
Aber hier erst eine Frage an dich: Auf welchem Weg bist du? Denkst du auch, dass es mit regelmäßiger Praxis des Yoga getan ist? Glaubst du, dass der spirituelle Aufstieg deiner Seele garantiert ist, wenn du nur genügend praktizierst?
Ich stelle dies in Zweifel.
Zuallererst sollten wir uns anschauen, was ist denn Yoga-Praxis. Viele Praktizierende halten bereits das physische Yoga, Hatha Yoga, für ausreichende Praxis. Asanas auf der Matte. Sind die Positionen gut ausgeführt und exakt, dann ist dies mein perfekter Yoga. Andere glauben, dass der Atem, Pranayama, der Schlüssel zur Erleuchtung ist. Andere wiederum suchen das Glück in der Meditation. Sie glauben fest daran, dass sie Befreiung, Moksha erlangen, wenn sie nur lange genug meditieren (z.B. Vipassana). Wieder andere glauben durch endloses Chanten von Mantras (Japa-Meditation) die höhere Erkenntnis zu erlangen.
Viele Yogis vergessen dabei, dass sie eine Persönlichkeit haben.
Yoga bedeutet auch diese Persönlichkeit, mit all ihren Strukturen, Facetten und Eigenschaften, zu überwinden und hinter sich zu lassen. Liegt das Augenmerk zu stark auf der Praxis, geht es immer nur um das Handeln an sich, weniger um den Nutzen, den wir daraus ziehen können. Zuwenig reflektieren die meisten Yoga-Praktizierenden die Transformation ihrer eigenen Persönlichkeit. Alle diese Techniken sind nur Hilfsmittel, Krücken auf dem Weg zu „Moksha“, der Befreiung der Seele, was eigentlich das erklärte Ziel von Yoga ist.
Der Mensch hat verschiedene Veranlagungen, die unseren Charakter ausmachen. Der Yoga spricht von sogenannten „Vrittis“. Vritti kann man auch übersetzen als psycho-mentale-Vorgänge. All unsere Konditionierungen, Gewohnheiten, Glaubenssätze, Einstellungen und Instinkte formen diese automatischen Vorgänge. Wie ferngesteuert gehen wir durchs Leben und reagieren auf das Außen. Wir können unsere Reaktionen beobachten, finden aber nur in den aller seltensten Fällen heraus, wo die Ursachen für unser Handeln/Reagieren, liegen. In der Psychoanalyse spricht man von „Schattenarbeit“.
Warum ist diese Arbeit im Yoga so wichtig?
Ich möchte versuchen es dir zu erklären: Wir praktizieren, meditieren, chanten beten zu Gott etc. Wir streben zum Licht, zur Erleuchtung. Diese Schatten aber sind wie Fußfesseln, lästige Gewichte, die uns immer wieder hinabziehen in die dunklen Abgründe unserer Seele. Unkontrollierte Reaktionen führen bei uns zu Unverständnis und zu Schuldgefühlen, die uns wiederum abschneiden von unserem wahren Selbst. Immer wieder versuchen wir uns mit dem Licht, der Unsterblichkeit in uns zu verbinden, scheitern und machen uns dann wieder Selbstvorwürfe und verlieren die yogische, bedingungslose Freude.
Diese Gewichte können auch benannt werden. Die Yoga-Sutren sprechen von Krankheit, Starrheit, Zweifel, Nachlässigkeit, Faulheit, Gier, falsche Weltanschauung, Nicht-Erreichen-des Grundes (des Yoga) bzw. nicht verweilen können, wenn man ihn einmal berührt hat. Als Letztes zu nennen, die Zerstreuung des Geistes als nicht konzentrieren können auf den jetzigen Moment. Dies sind die 9 Hindernisse auf dem Yogaweg. Keines dieser Hindernisse löst sich auf, wenn ich nur physisch Yoga praktiziere. Die Praxis wird dann nur zu einer Ablenkung von den Problemen meiner eigenen Hindernisse. Auch Meditation kann zu einer Flucht vor der Konfrontation mit der eigenen Unzulänglichkeit werden.
Nicht selten beobachtet habe ich auch, dass Yogis und Yogalehrer ihre alten Muster auf die Yoga-Praxis übertragen. Den Perfektionismus, den Wettbewerb, das Bestreben der Beste sein zu wollen.
Das Übertragen von alten Erfolgsstrategien auf das Business „Yoga“ ist nicht selten. Vielleicht warnen deshalb auch große spirituelle Meister davor, Geld und Yoga zu verknüpfen? Vielleicht ist ja Yoga gar nicht vorgesehen, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten?
Auch der Zwang alles ganz genau verstehen zu wollen, führt zu merkwürdigem Verhalten manch eines Jnana Yogi (Jnana-Yoga = Weg der Erkenntnis). Er unterliegt dem Zwang jedem ganz genau erklären zu wollen, wie der Yoga funktioniert und er nutzt das „Yoga-Kleid“, um seinen brillanten Verstand zur Schau zu stellen.
Beginnt unser wahres Selbst zu leuchten, durch Erweckung der Kundalini, kommt etwas Licht in unser dunkles Bewusstsein. Langsam erkennen wir die groben Umrisse unserer Persönlichkeitsstrukturen. Eine Reise beginnt. Sobald wir den ersten Schritt auf dieser Reise der Erkenntnis tun, entsteht ein Konflikt zwischen den neuen Erkenntnissen und den alten Mustern. Es entsteht eine Art Gegenzug. Wir streben in die Freiheit, aber die absteigende Energie der Bedingtheit zieht uns immer wieder zurück. Versuchen wir unsere alten Gewohnheiten loszulassen, entstehen Widerstände. Die alten Gewohnheiten wollen unser System nicht verlassen. Es folgt ein Gefühl von Krankheit und Trägheit. Es fällt uns schwer, unser Verhalten zu ändern.
Viele bemühen sich ständig (Abhyasa), um die alten Dinge loszulassen (Vairagya). Du darfst dir nur die Frage stellen, ob du die alten Muster aufgelöst und wirklich hinter dir gelassen hast, oder hast du sie nur verdrängt und unterdrückt? Sei ehrlich mit dir.
Hat man ausreichend Willenskraft und Disziplin, kann man scheinbar leicht aufhören mit: rauchen, trinken, (Glücks-)spielen, Kaffee trinken, Fleisch essen etc. All die vielen Dinge, die man angebliche als „Yogi“ nicht mehr tut. Kommst du aus einer strengeren Tradition, gehört auch Enthaltsamkeit (Brahmacharya) dazu, bis hin zur totalen sexuellen Enthaltsamkeit.
Es geht aber aus meiner Sicht immer um die anstrengungslose Überwindung.
Der echte Weg der Selbsterkenntnis führt dazu, dass die Gewohnheiten ohne Anstrengung von dir abfallen. Solange du dich anstrengen musst, sind sie ja noch da. Gehst du in Widerstand, unterdrückst du sie und schenkst ihnen Energie, indem du sie willentlich zu überwinden versuchst.
Solange noch Ungeduld und Unzufriedenheit im Spiel ist, was deinen Yogaweg anbelangt, sei versichert, dass er noch gar nicht richtig begonnen hat.
Der Yoga Sutra lehrt auch immer das Einbeziehen der Gegenseite. Du darfst dir beides anschauen. Auch deine Schatten. Vyasa hat in einem Kommentar zu den Yoga-Sutras das Beispiel eines Hundes aufgeführt, der seine eigene Kotze aufleckt. Du darfst dir deine Schatten ganz genau anschauen. Wenn du keine Angst mehr vor ihnen hast und sie als Teil deiner Persönlichkeit akzeptierst, werden sie irgendwann von allein gehen, weil sie keine Macht mehr über dich haben.
Manchmal dürfen wir das Getrenntsein erfahren, weil wir danach die Einheit mit dem wahren Selbst umso stärker genießen. Der Wunsch immer in diesem endlosen Selbst, dem Gefühl von Glückseligkeit und immerwährender Freude verankert zu sein, wächst mehr und mehr in dir heran. Es ist aber ein organisches Wachsen. Du darfst auch deine Rückschläge und Abstürze annehmen und genießen als Teil deiner Reise zu dem Selbst. Auf einer Seereise gibt es auch Stürme und Wellen, genauso wie ruhige See und Sonnenaufgänge. Urteile nicht und vor allem verurteile dich nicht. Genieße jeden Moment deiner Reise und werde zu dem reinen Beobachter.
Die einfachen Methoden von Nirmala Yoga unterstützen dich auf dieser spannenden Reise. Ich freue mich, dich in den Kursen, Seminare oder Live-Meditationen wiederzusehen.
Dein Sven-Oliver